Sommernachtsträume
Essays zu Büchern, Filmen und Theaterstücken von Herbert Achternbusch
Manfred Loimeier, Herbert Achternbusch
ISBN: 978-3-99028-772-9
24×17 cm, 390 Seiten, zahlr. S/W-Abb., Softcover
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Kurzbeschreibung
„Das Lesen und Verstehen des Werks von Herbert Achternbusch ist eigentlich ganz unkompliziert: Die Welt ist eine Katastrophe, allein ein Außenseiter hat rettenden Unterschlupf gefunden und träumt darin von Liebe auf Erden und einem wieder lebenswerten Leben dort. Manchmal kehrt er aus seinem Unterschlupf in die Welt zurück, aber nur selten findet er Liebe (wie in „Der Neger Erwin“), sondern meist nur Schrecken – Antisemitismus („Das letzte Loch“), Waldsterben („Wanderkrebs“), Aufrüstung („Die Föhnforscher“), Nationalismus („Heilt Hitler!“), Diskriminierung („Hick’s Last Stand“), Kolonialismus („Ich bin da Ich bin da“) –, so dass die Erfüllung seines Traums nur im Jenseits möglich zu sein scheint …“
Mit diesem Essayband verschafft Herausgeber Manfred Loimeier der literatur-, film- und theaterwissenschaftlichen Betrachtung des künstlerischen Werks von Herbert Achternbusch eine neue Grundlage. Denn noch lange nicht sind die Facetten von Achternbuschs Werk ausreichend beleuchtet, noch lange gibt es überraschende Seiten zu entdecken.
[Manfred Loimeier (Hg.) |
Mit Beiträgen von Ulrich Breuer, Marion Chénetier-Alev, Thomas Elsaesser, Hans-Edwin Friedrich, Birgit Haas, Helmut Kreuzer, Manfred Loimeier, Claus-Michael Ort, Gillian Pye, Bernd Reifenberg, W.G. Sebald]
Rezensionen
Uwe Schütte: „Ich bin doch nur ein Depp“Herbert Achternbusch sorgte mit seinem singulären, anarchischen Gesamtkunstwerk stets für Aufregung. Am 23. November begeht er seinen 80. Geburtstag.
Ruhig ist es um Herbert Achternbusch in den vergangenen Jahren geworden. Das hatte mit gesundheitlichen Problemen zu tun, aber auch mit dem Alter: Ganze 80 Jahre wird der bayerische Anarcho-Gesamtkünstler am 23. November. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mittlerweile vornehmlich durch die Malerei. Und nachdem er lange Zeit in seinem Bauernhaus im Waldviertel lebte, verbringt er seine Zeit nun wieder vorwiegend in der Geburtsstadt München.
In Österreich fand er auch einen neuen Verleger: Richard Pils von der Edition Bibliothek der Provinz, in der Herbert Achternbuschs Bücher seit 1998 in wunderschön gestalteten Hardcoverausgaben mit farbigen Illustrationen des Autors erscheinen.
Gleichsam als Gabe zum Geburtstag ist dort nun die von Manfred Loimeier herausgegebene Sammlung „Sommernachtsträume“ mit sorgfältig ausgewählten Essays zu Büchern, Filmen und Theaterstücken von Achternbusch erschienen. Sie weisen einen informativen Weg in das singuläre Gesamtkunstwerk und regen an, sich auch die neueren Erzählwerke vorzunehmen, die kaum weniger faszinierend sind als die Texte, die einstmals bei Suhrkamp erschienenen sind.
Vorwurf der Blasphemie
Im Rückblick ragt unverändert der Skandalfilm „Das Gespenst“ (1983) aus dem Werk heraus, der seit 2010 wieder auf DVD (nun mit Altersfreigabe 12) erhältlich ist: Achternbusch spielt darin die Hauptrolle als eigenwilliger Jesus, der in einem Kloster vom Kreuz absteigt und mit der Schwester Oberin durch die Münchner Fußgängerzone und den Viktualienmarkt wandelt. Unverstanden und angefeindet, von der Polizei als gefährlicher Verrückter betrachtet, wird er von der Gesellschaft verfolgt – so wie einst der historische Jesus. Die katholische Kirche protestierte prompt, der damalige Innenminister Zimmermann ortete Blasphemie und versagte versprochene Förderungsmittel. (In Österreich bleibt der Film übrigens bis heute verboten.)
Eine Postkarte, die den Gekreuzigten mit einem Dildo im Mund zeigte, ergänzt durch die Worte „Dieses Kreuz ist keine Sicherheit. Dieses Kreuz ist eine Frage“, gehörte in den Haushalt jedes Achternbusch-Anhängers. Den einen galt Achternbusch als Nestbeschmutzer und den anderen als einzig wahrer Vertreter der anarchischen bajuwarischen Tradition, vom Komiker Karl Valentin bis zum Sozialisten Kurt Eisner, der in der Novemberevolution 1918 die Monarchie abschaffte, um den Freistaat Bayern zu errichten.
Heute ist Achternbusch aus dem Blickfeld der breiten Öffentlichkeit verschwunden. Sein die Genres und Medien transzendierendes Werk aber gerät wieder verstärkt in den Fokus der Germanistik und Filmwissenschaften, die ihn Anfang November mit einer dreitägigen Konferenz im Filmmuseum Potsdam ehrten. Im Leipziger Luru-Kino findet eine komplette Achternbusch-Werkretrospektive statt, die von November 2018 bis Mai 2019 läuft. Vielleicht können solche Veranstaltungen dazu beitragen, Achternbusch wieder mehr ins Bewusstsein zu heben. Zu wünschen wäre es jedenfalls.
Zum Schriftsteller wurde der erstmalige Kunststudent eher durch Zufall. Ermutigt von Martin Walser, begann er ab Mitte der sechziger Jahre zu schreiben, seine Erzählungen erschienen ab 1969 im Suhrkamp Verlag, wo er mit seinem Debütroman „Die Alexanderschlacht“ (1971) Furore machte. Doch kaum hatte er seinen Durchbruch als Autor geschafft, verlegte sich Achternbusch auf ein anderes Feld, das seinen eigentlichen Ruhm begründen sollte: den Film. Ausgehend von „Das Andechser Gefühl“ (1975), einem bayerischen Heimatfilm der anderen Art, entstand ein Filmwerk, das seinesgleichen sucht.
Als Enfant Terrible des deutschen Autorenfilms drehte Achternbusch bis 2002 insgesamt 30 Filme, darunter Meisterwerke wie „Die Föhnforscher“ (1985) oder „Hick’s Last Stand“ (1990). Außerhalb anspruchsvoller Programmkinos haben diese Filme freilich keine Chance, ein Publikum zu finden, nicht zuletzt, weil ihnen die Stars fehlen. Die Hauptrollen besetzte Achternbusch nicht nur aus Geldgründen zumeist mit sich selber, in weiteren Rollen sind wiederholt seine 2005 verstorbene Lebensgefährtin Annamirl Bierbichler und eine ganze Reihe von Freunden zu sehen.
Die Filme sind immer auch Autobiographie und haben einen Zug ins Dokumentarische. Besonders eindringlich in „Bierkampf“ (1977), als sich Achternbusch dabei filmen lässt, wie er als Polizist verkleidet durch die Bierzelte des Münchner Oktoberfests geht, um Zigaretten zu verkaufen (ein Job, den er bereits als Student ausgeübt hatte). Durch gezielte Unverschämtheiten provoziert er dabei körperliche Angriffe, um die Gewalt zu demaskieren, die hinter dem Frohsinn der bierseligen Volksseele lauert.
Wenig Scheu vor Tabus
Wenig Scheu vor Tabus zeigt Achternbusch in anderen Filmen, wenn er beispielsweise den schwer AIDS-kranken Fassbinder-Darsteller Kurt Raab in „Wohin?“ (1987) in einem Biergarten über seinen bevorstehenden Tod sprechen lässt, oder seinen Intimfeind, den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, in der Schlussszene von „Der Depp“ (1982) im Münchner Hofbräuhaus vergiftet.
Vom Schreiben der Filmdrehbücher war es dann nicht mehr allzu weit, sich auch als Bühnenautor zu betätigen. Seine über 25 Theaterstücke sind der unterschätzteste Teil des wildwüchsigen „Gesamtschriftwerks“. Vor allem solche Stücke wie „Ella“ (1978), „Susn“ (1980), „Plattling“ (1981) oder „Linz“ (1988) gehören zu den außergewöhnlichsten Dramentexten, die das deutschsprachige Theater der achtziger Jahre hervorgebracht hat. Es handelt sich fast durchweg um Einpersonenstücke, in denen im niederbayerischen Heimatdialekt Achternbuschs monologisiert wird.
Hervorzuheben darunter ist insbesondere „Gust“ (1979), das mit Josef Bierbichler, dem Bruder von Annamirl Bierbichler, in den Münchner Kammerspielen gezeigt wurde: Während seine todkranke Frau im Sterben liegt und nur noch ein gelegentliches Röcheln von sich gibt, erzählt Gust die traurige Geschichte seines verpfuschten Lebens und seiner qualvollen Ehe.
Achternbusch hat sie nahezu wortwörtlich einem Onkel abgelauscht, doch was er auf die Bühne bringt ist kein Voyeurismus, der es Großstadtintellektuellen und Bildungsbürgern erlaubt, sich über den Irrglauben eines Provinzlers und seine unzureichende Sprachbeherrschung amüsieren zu können. Vielmehr begegnet uns hier eine anrührende Botschaft aus einem in der Moderne überwunden geglaubten Provinzleben, dessen Fortexistenz sonst in vergleichbarer Weise nur in den frühen Büchern von Franz Innerhofer oder Josef Winkler zugänglich wurde.
„Wildes Denken“
Überhaupt ist die provinzielle Herkunft der Schlüssel zum Verständnis der Kunst von Herbert Achternbusch. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als uneheliches Kind eines Zahnarztes und einer Sportlehrerin in München zur Welt gekommen, die sich später mit einer Pistole erschoss, wuchs er bei seiner im Bayerischen Wald lebenden Großmutter auf. Damit ist seine Kindheit und Jugend bestimmt von fast schon prä-zivilisatorischen Bedingungen, ein Leben ohne Strom, elektrisches Licht und fließendes Wasser mitten in der Natur. Seine dabei erworbene „Verwilderung“ hat sich Achternbusch bis ins hohe Alter bewahrt.
Der Anthropologe Claude Lévi-Strauss hat anhand sogenannter Primitiver die Vorzüge einer „pensée sauvage“, eines „wilden Denkens“ also, gegenüber dem an Vernunft und Logik ausgerichteten technologischen Denken dargestellt. Achternbusch ist dementsprechend ein wilder Künstler, der keine Eingrenzung auf bestimmte Bereiche oder Genres kennt, sondern sich ganz allein von seinen persönlichen Impulsen geleitet eines bastlerischen Verfahrens bedient, das in dezidiertem Gegensatz zum sozusagen ingenieursmäßigen Vorgehen der anerkannten Filmemacher, Schriftsteller, Theaterautoren und Maler steht.
Bedenkenlos wird bei Achternbusch bereits bestehendes Textmaterial in anderen Medien recycelt, einen Unterschied zwischen Leben und Kunst kennt er nicht. Seine Bibliografie ist ein einziges Chaos sich über mehrere Verlage erstreckender und jeweils Fragment gebliebener Werk- und Gesamtausgaben. Das Tiefsinnige trifft auf das Triviale, das Tragische kollidiert mit dem Absurden, etwa wenn im Film „Das letzte Loch“ (1981) die von Achternbusch gespielte Hauptfigur Nil die sechs Millionen im Holocaust getöteten Juden vergessen will, indem er für jeden Ermordeten einen Schnaps trinkt, was ihm aber natürlich nicht gelingt, sodass er sich ertränkt.
Widerspenstig jung
Wie nahe Achternbusch einem „wilden“ Kunstbegriff steht, zeigen seine Bilder und Skulpturen schon auf den ersten Blick. Er bevorzugt für seine oftmals großformatigen Bilder insbesondere Aquarell- und Mischtechniken, wobei er mit der Farbe ausgeprägt impulsiv umgeht. Die poetisch sensiblen, kraftvollen und phantastischen Arbeiten, denen zumeist mythologische Motive zugrunde liegen, weisen eine unverkennbare Nähe zu jener Außenseiterkunst sogenannter Naiver auf, die als „art brut“ in der Kunstwissenschaft ein Obdach gefunden haben.
Achternbusch sieht einen solchen Vergleich sicher als eine Auszeichnung an, da er in den Interviews immer gerne betont, in erster Linie ein Depp zu sein. Denn er weiß: Narren und Kinder sprechen immer die Wahrheit. Achternbusch hat es geschafft, ein genialer Depp zu werden, indem er sich seine Kindheit nicht nehmen ließ. Heute hat er sich als einer der bemerkenswertesten deutschsprachigen Außenseiterkünstler erwiesen, der in Würde gealtert und zugleich im unverändert widerspenstigen Geiste jung geblieben ist.
(Uwe Schütte, Rezension in der Wiener Zeitung vom 17. November 2018, S. 38)
https://www.tagblatt-wienerzeitung.at/nachrichten/reflexionen/zeitgenossen/1002370-Ich-bin-doch-nur-ein-Depp.html
Lutz Hagestedt: Rohling mit sanftem Herzen
Herbert Achternbusch zum 80. Geburtstag
„Die literarischen Arbeiten Herbert Achternbuschs widersetzen sich bekanntlich jedweder Vorstellung von einem ordentlichen Werk“, urteilte Winfried Georg Sebald bereits 1988. Achternbusch, der bayrische Filmschaffende und Theaterkünstler, Maler und Schriftsteller, gilt vielen als anarchischer Chaotiker – von Ordnung keine Spur.
Gleichwohl lassen sich konsequente Leitlinien seines Schaffens bestimmen: Die scheinbar dilettantische Bildsprache der Kamerafahrten seines beeindruckenden filmischen Œuvres kann ebensowenig Zufall sein (da genügt eigentlich schon der Hinweis auf seinen versierten Kameramann Jörg Schmidt-Reitwein) wie die vergleichsweise „offene“ Prosamischform seines erzählerischen Werkes. Die Theaterstücke sind augenscheinlich ebenso genau gearbeitet wie sein bildkünstlerisches Werk. Gerade der überwältigenden Malerei kann sich niemand entziehen, der Augen im Kopf hat: sie kann sich mit ganz großer Kunst messen, und zwar in jeder Hinsicht – kompositorisch, farblich, gestalterisch. Die Formate, die Materialien, die Farben, der Strich – der Witz, der Ausdruck, die Dynamik, die Tiefe: das ist alles restlos überzeugend, berührend, ernsthaft und komisch zugleich. Viele seiner Bilder werden uns vom Urheber in seinem Film „Die Föhnforscher“ (1984/85) erläutert.
Ein Ordnungssinn drängt sich jedem auf, der bereit ist, hinzuschauen: „Die Macht des Löwengebrülls“ (1970) beispielsweise bleibt eng auf die Bergpredigt bezogen. Hier wird quasi nochmals ,umgedreht‘, was uns vielleicht schon beim biblischen Text absurd anmutete. Sehr intelligent sind auch die Werkstiftungsideen, die etwa in den Paratexten seiner Sammelbände sichtbar werden: „Du hast keine Chance aber nutze sie“. Diese Begleitschriften schwanken zwischen verlegerischem Peritext und Autorentheorie, und sie sind derart gut gemacht, dass sie kluge Nachahmer (ich nenne Rainald Goetz) gefunden haben.
Man stellt sich den Achternbusch’schen Zumutungen mit Gewinn: Die beeindruckenden Inszenierungen Dieter Dorns und Thomas Ostermeiers (an den Kammerspielen) oder Pinar Karabuluts (am Volkstheater) belegen die Strapazierbarkeit der Texte: Es ist fast unentscheidbar, ob das nun Regie- oder Autorentheater, postdramatisches Theater, absurdes Theater, Farce oder Assoziationstheater sein soll. Alles kann eintreten, alles kann zutreffen.
Mit großer Konsequenz wird hier politisch gewütet. Zwar kann die Macht der Mächtigen damit nicht gebrochen werden, doch leidet ihr öffentliches Bild. Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU) hat weiland einfach keine Bella figura gemacht, als er sich mit Achternbusch anlegte. Andererseits stellt diese Künstlerexistenz der Kunstfreiheit in unserem Land nicht das schlechteste Zeugnis aus: „Das Gespenst“, einst verboten, firmiert mittlerweile unter FSK 12, und man versteht die Aufregung kaum mehr, die darum herrschte.
Dieses Œuvre wird von großer Tragik und Traurigkeit getragen. Tröstlich schön, wie Achternbusch von seinen privaten Niederlagen zu erzählen vermag. Die Conditio humana bedeutet im Kern Einsamkeit, und jedes Anklopfen der Welt, jede Resonanz der Öffentlichkeit (ob Lob oder Tadel) ist Zumutung. Dies gilt auch für die Rezeption im engeren Sinne, wie beim hier zu besprechenden Sammelband „Sommernachtsträume“.
Gillian Pyes Aufsatz ist weniger als Analyse von „Sintflut“ (1984) zu verstehen denn als Auswertung von Kritikerstimmen, die Achternbusch auf der Bühne erlebt haben. Thematisiert wird „die Wirkung der Komik“, die teils als „Schwachsinn“ oder „Jux“ (Benjamin Henrichs), teils als „Albernheit“ und „Geblödel“ (Georg Hensel), teils als Mischung aus „Kalauer“ und „Galgenhumor“ (Barbara Schmitz-Burckhardt) wahrgenommen wird. Entspricht den Worten eine Wirklichkeit? Und lässt die sich komik-theoretisch spezifizieren? Oder soll solches Schubladendenken etwas über den Zustand unserer Kritik aussagen? Funktion dieses „Unsinnshumors“ könne es sein, „einen Sinn für Utopie zu schaffen“, an „Kindertheater“ (Henrichs) und Kindheitsmuster anzuknüpfen, indem man die unbekümmerte und lustvolle Art zu denken, zu träumen und zu leben wiederentdeckt, die uns „in der Schule kastriert worden“ (Jürgen Serke) sei. Solche Küchenpsychologie zitierte Michael Rutschky in seinem Beitrag für den Merkur: „Auf der Suche nach Verfolgern“.
„Von einem gewissen Format an hat jeder seine Verfolger vom Dienst.“ Dieses Bonmot Ernst Jüngers aus der Goethepreis-Rede trifft auch auf Achternbusch zu; so stöhnte er über Jörg Drews, der den Dichter mit immergleichen Hommagen bedachte. Herbert Achternbusch darf sich über einen neuen Band von Manfred Loimeier ärgern, freuen oder belustigen, aber solche Treue und Vasallengefolgschaft hat auch ihre eigene Tragik. Dabei tritt der Gelehrte, Professor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, als leiser und behutsamer Ethnologe dieses Gesamtwerkes und folglich ohne kolonialen Gestus auf. Doch nicht ohne Anspruch, diesen erratischen Subkontinent Bayerns nach allen Seiten hin durchmessen zu wollen. Bei seiner stupenden Analyse der Neufassung des „ungeliebten“ Theaterstücks „Susn“ freilich (das Achternbusch mit „Kuschwarda City“ zusammenspannte) fehlt mir, dem Anhänger biographischer Lektüren, die Ausleuchtung der „privaten“ Entstehungsbedingungen (auch der persönlichen Sozialisation Hartmut Riederers). Noch leben die Zeitzeugen, noch könnte man sie befragen – und ihr Werk dazu, das sie, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, gestiftet haben.
Loimeiers Sammelband vereinigt in sich verstreut schon Publiziertes mit eigens für diesen Anlass Erarbeitetem. Neue Stichworte der Achternbusch-Rezeption verdanken sich Bernd Reifenberg, der die französischen Stimmen zum Werk zusammengetragen hat, soweit sie die Inszenierungen der Bühnenstücke und die wenigen Prosa-Übersetzungen betreffen (die französische Germanistik nimmt Reifenberg aus). In Frankreich setzten die Inszenierungen eines kritischen, realitätsnahen „Theaters des Alltäglichen“ einen Kontrapunkt gegen einen „politisch abstinenten Ästhetizismus“. Achternbusch wurde „poetisch“ zu einem „Nachfahren der Romantiker“ erklärt, zu einem „Rohling mit sanftem Herzen“ (Michel-François Demet), dessen Ambiguität „verschärfte Traurigkeit“ (Claude Yersin) mit bitterer Lustigkeit mische. Als Dramatiker wurde er in Frankreich positiv aufgenommen, allenfalls wurde einzelnen Inszenierungen vorgehalten, dass sie zur „Normalisierung“ und damit Entschärfung des Dramentextes tendierten: Seine „Tragödie der Entmenschlichung“ müsse in ihrem ganzen Schrecken und Überdruss gezeigt werden: „Alles hier ist rau, spitz, greifbar. Dem Publikum verschlägt es den Atem.“ (Désiré Calderon)
Diese Atemlosigkeit mag mit der „Realpräsenz“ des Autors in seinen Figuren zusammenhängen, die besonders in seinen Filmen erfahrbar wird. Jacques Le Rider hat diesbezüglich von der „mythomanie autobiographique“ gesprochen, und Colette Godard, die bedeutendste Theaterkritikerin Frankreichs, stimmt mit Rider darin überein, wenn sie von einer „schamlosen autobiographischen Serie“ spricht, die „niemanden, vor allem nicht den Autor“, schone.
Seine Theorie des Skandalons entwickelt Claus-Michael Ort am ikonographischen Zeichen des Kreuzes. In Achternbuschs Theaterstück „Der Frosch“ (1981) wird es in die „verkehrte Richtung“ getragen – eine häretische Überhöhung des „Falschen“, an der nicht wenigen bayrisch-katholischen Kulturschaffenden gelegen zu sein scheint. Achternbuschs Film „Das Gespenst“ (1982) stand an der Wiege der „geistig-moralischen Wende“ der Regierung Kohl und forderte dessen und deren ersten Innenminister heraus. Dieser verweigerte Achternbusch die Auszahlung einer ausstehenden Rate der Filmförderung des Bundes, die bereits bewilligt war. Was war geschehen? Achternbusch hatte eine „Plastik des Gekreuzigten“ zum Leben erweckt und als Schlange vom Kruzifix erlöst. Diese Reanimation Christi in Gestalt seines „teuflischen Antagonisten“ ging filmisch auf ein anstößiges Odeur zurück, das der Schwester Oberin entfleucht war. Letztere verwandelte sich in einen Adler und trug die Jesus-Schlange im Schnabel davon. Beide wurden am Ende aus der Welt entlassen, als könne sich die christliche Auferstehungshoffnung doch noch erfüllen: zwar nicht am Kreuz und nicht in einer mit Gott „wesensgleichen“ Gestalt, aber doch als Teil der Schöpfung. Wesensgleich mit dem eingeborenen Herrn sind im Film drei – ebenfalls gekreuzigte – Frösche, die der Ober (der verwandelte Christus) befreit, indem er ihnen die Fesseln löst.
Der „Wirkung von Komik“ bei Achternbusch wendet sich die bereits erwähnte Gillian Pye zu, und nicht lustig ist es, wie sorglos sie zitiert: Da wird ein im Lexikon zitierter poetologischer Passus aus „Die Alexanderschlacht“ (1971) umstandslos als Bekenntnis des Autors gelesen, und ein Zitat Achternbuschs wird W. G. Sebald in den Mund gelegt. Völlig konfus das Ganze, wie auch Sebald selbst wenig Erhellendes zu „Achternbuschs theatralischer Sendung“ eingefallen ist. Weder durchschaut er die „Editionspolitik“ des Autors, noch kann er etwas mit der „Deponie“ (als der Backlist) des Suhrkamp Verlages anfangen, dem er polemisch „Profitgier“ unterstellt. Und die Äußerung Achternbuschs, er habe „mit dem Schreiben von Theaterstücken“ weiter nichts bezweckt, „als sich eine Altersversorgung zu schaffen“, scheint Sebald ernst genommen zu haben. Er hat nichts begriffen von Achternbusch.
Sorgfältiger gearbeitet sind dagegen die Überlegungen Marion Chénetier-Alevs zur „Mündlichkeit“ in den Stücken „Ella“ (1978), „Gust“ (1980) und „Susn“ (1980). So beobachtet sie beispielsweise, dass in der französischen Bühnenfassung des Zwei-Personen-Stücks „Ella“ (Regie Claude Yersin) alle diejenigen Inquitformeln fehlen, die zur Zerstörung der „Illusion einer vollkommenen Übereinstimmung“ von Mutter (Ella) und Sohn (Joseph) führen könnten: „Was man stattdessen festhalten kann, ist, dass der von Joseph vorgetragene Monolog eine Art Monstrum an Erzählung ist. Wie soll man einen Lebensbericht nennen, der – weil der eigentliche Erzähler nicht mehr in der Lage ist zu sprechen – von einer anderen Person in Ich-Form erzählt wird, die diesen nicht erlebt hat, und dessen Inhalt aus einer längst vergangenen Zeit stammt?“
Es ist wieder das Spiel des „Dazwischen“, das uns hier erneut begegnet und bei der Interpretation zu respektieren ist: „Mind the gap!“
Hans-Edwin Friedrich stellt Achternbusch in die Tradition einer Ästhetik des Hässlichen. In den achtziger Jahren habe Achternbusch begonnen, „sich intensiv mit der Judenvernichtung auseinanderzusetzen.“ Sie sei, quasi als das Hässliche schlechthin, in der Kunst zu beheimaten. Indem Friedrich die verstreut vorliegenden Bezugnahmen auf den Holocaust zusammenstellt, entsteht ein völlig neuer Kontext, „der die Sinnbezüge der Binnentexte ausweitet.“ Er folgt damit einer Werkpolitik Achternbuschs, die ganz ähnlich vorgeht, indem sie Einzeltexte (Erzählungen, Filmscripts, Theaterstücke und so weiter) zu Textsammlungen kollationiert. Diese „Ensembles“ werden vom Autor nicht selten dergestalt rekombiniert, dass sie eine neue „Textsukzession“ mit neuer Umgebung entstehen lassen, die neue Lesarten erzwingt. Solche Ensembles tendieren zum Rhizom: Die Texte „wurzeln“ quasi in bestimmten Themen, Motiven, Stoffen, Milieus und treiben immer neue Blüten. In der Konsequenz ändert sich mehrfach die Assemblage des Werkganzen, zumal einzelne Texttypen medial transformiert werden können (Erzählung wird Filmstoff, Filmstoff wird Theater und so weiter). Toposhaft bewegliche Versatzstücke „wandern“ zudem innerhalb dieser Werkstiftung ,in progress‘ und übernehmen andere Funktionen. Für jeden also, der sich mit Werkpolitik und Werktheorie beschäftigt, wäre hier manches Spannende zu beobachten, etwa auch, wie thematische Anker einem solchen Werk innere Konsistenz verleihen können: Einzelbeobachtungen, „Stellen“, werden so als ubiquitäres Prinzip erkennbar, der „schlimme“ Einfall wird zum peinigenden Stachel im Fleisch der genusssüchtigen Kulturindustrie und ihres biersatten Publikums.
Helmut Kreuzer erläutert uns die lange Phalanx der Filmschaffenden, die sich Achternbusch als Ahnenreihe selbst auserkoren hat. Während die literarischen Klassiker in bewährter Bohemien-Tradition abgewatscht werden (mit der Ausnahme Hölderlins, und der war kein Klassiker im engeren Sinne), werden Charlie Chaplin und die Marx Brothers, Jerry Lewis und Karl Valentin, Rainer Werner Faßbinder und Akira Kurosawa glorios illuminiert und apostrophiert. Die Zusammenstellung ergibt eine an Komik und Absurdität, filmischem Handwerk und Ressourcen, Knappheit und Improvisation orientierte Ahnenreihe: Hier spielt das Banale ins Groteske, das Groteske ins Vulgäre, das Sonderbare ins Anstößige, das Exotische ins Poetische.
Viele weitere Beiträge wären hier zu würdigen: Birgit Haas untersucht die „Persiflage auf das kritische Volkstheater“ bei Achternbusch; Ulrich Breuer untersucht die Anfänge des – hoppla – „autobiografischen Schreibens“ in „Hülle“ (1969); Thomas Elsaesser wendet sich den „Tarnformen der Trauer“ in „Das letzte Loch“ (1981) zu. Außerdem enthält der Band ein Premierenverzeichnis der Theateraufführungen sowie eine Bibliografie der Primär- und der Sekundärliteratur.
Ein Würdiger soll das Schlusswort haben, einer, der nicht für eine Kritik wirbt, die aus der Nähe kommt – Rainald Goetz über „Der letzte Schliff“ (1997): Dies sei „wirklich und in Wirklichkeit das totale und absolute und programmatische und foltermäßig konsequent durchgehaltene GEGENTEIL von irgendsowas Ähnlichem wie Schliff, Bearbeitung, Gestaltung – die reine Urform – Dokument der Qual.“ („Abfall für alle“)
(Lutz Hagestedt, Rezension für literaturkritik.de Ausgabe November 2018)
https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=25122