Die Geschichte der „Kleinen Galerie“ von 1946/47 bis zur Gegenwart
Alfred Gerstl
edition seidengasse: Enzyklopädie des Wiener WissensISBN: 978-3-99028-195-6
21×15 cm, 200 Seiten, m. farb. Abb., graph. Darst., Hardcover
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Kurzbeschreibung
1946/47 gründete Karl Gerstmayer in der Josefstadt die „Kleine Galerie für Schule und Heim“ als eine spezielle Einrichtung der Wiener Volksbildung. Seitdem hat die seit 1997 im dritten Bezirk beheimatete Galerie erfolgreich einem großen Bevölkerungskreis klassische und sukzessive auch moderne Kunst vermittelt, und zwar durch Ausstellungen in den eigenen Räumlichkeiten, in Schulen und Betrieben sowie eine eigene Monatszeitschrift und kunsthistorische Vorträge. Zahlreiche heute namhafte bildende Künstlerinnen und Künstler starteten ihre Karriere mit Ausstellungen in der Kleinen Galerie. Auch Schriftsteller und Schriftstellerinnen lasen häufig aus ihren Werken, was das breite Kunst- und Kulturverständnis der Galerie unterstreicht.
Dieser Sammelband mit Beiträgen von Mario Rieder, Ernst Woller, Alfred Gerstl, Vida Bakondy und Emanuel Althuber zeichnet erstmals die Geschichte dieser für das Wiener Kunst- und Kulturleben so bedeutsamen Institution von den Anfängen bis zur Gegenwart nach.
1946/47, im von allerlei Entbehrungen geprägten Nachkriegs-Wien, gründete Karl Gerstmayer in der Josefstadt die Kleine Galerie als eine spezielle Einrichtung der Wiener Volksbildung. Sein Anliegen war es, einem möglichst breiten Kreis der Bevölkerung klassische und sukzessive auch moderne Kunst näher zu bringen. Dabei wurde Gerstmayer von seinem Schwager Alois Jalkotzy und Kulturstadtrat Viktor Matejka unterstützt.
Im Galerie-Lokal in der Neudeggergasse 8 wurden anfänglich vorwiegend hochwertige Lithografien ausgestellt, die sich als effizientes Instrument der Popularisierung von Kunst erwiesen: Zu Themengruppen gebündelt, wurden sie als Leihbild-Ausstellung an Schulen, Betriebe und Bildungsheime verliehen und vermittelten so bildende Kunst durch Anschauung. Die vergünstigten Lithografien konnten auch von Einzelpersonen ausgeborgt oder gekauft werden. Hinzu kamen von Anfang an Vorträge in der Kleinen Galerie über allerlei kulturelle, aber auch gesellschaftspolitische Themen sowie Literatur- und Musikabende und gemeinsame Museumsbesuche und Kunstfahrten. Nachdem in der Frühphase der Galerie aus Kosten- und technischen Gründen in erster Linie Reproduktionen gezeigt worden waren, dominierten ab den späten 1950er Jahren Originalwerke lebender KünstlerInnen.
Als das neben den Ausstellungen wichtigste Instrument der Galerie, kulturpädagogisch zu wirken, müssen die „Wiener Kunsthefte“ bezeichnet werden. Seit 1948 monatlich herausgegeben, informierten sie pointiert über Ausstellungen, KünstlerInnen, diverse Stilrichtungen und aktuelle Trends sowie über Literatur und allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen.
Nach einem kurzen Intermezzo nach Gerstmayers Rücktritt 1970 mit Hans Muhr (1971–1973) und Robert Schmitt (1973), die als Direktoren modernem Kunstschaffen mit viel Sympathie begegneten, führte Erika Nemec die Kleine Galerie von 1973 bis 1980 mit einem etwas konservativeren Schwerpunkt. Deutlichere Akzente als sie setzten ihre beiden stark an den Zielen und Werten der Volksbildung orientierten Nachfolger: zuerst Peter Paul Wiplinger (1980–1986), der, selbst Schriftsteller, die Literaturschiene sowohl in der Galerie wie in den Kunstheften weiter ausbaute, und anschließend Philipp Maurer (1986–2005). Unter Maurer übersiedelte die Kleine Galerie 1997 in die Kundmanngasse 30 im dritten Bezirk, und es erfolgte die Umorientierung auf Druckgrafik. Ab 2006 gelang es der neuen Direktorin Doris Zametzer, die finanziell angeschlagene Galerie zu sanieren und ihr ein neues kulturpädagogisches Programm zu verleihen. Heute bietet die Kleine Galerie unter ihrem künstlerischen Leiter Faek Rasul ein breites Spektrum an zeitgenössischer Kunst und wird gleichzeitig ihrem volksbildnerischen Auftrag gerecht.
[Enzyklopädisches Stichwort]
[Alfred Gerstl (Hrsg.) |
Mit Beiträgen von Emanuel Althuber, Vida Bakondy, Alfred Gerstl, Mario Rieder und Ernst Woller]
[edition seidengasse · Enzyklopädie des Wiener Wissens, Bd. XX |
Begründet 2003 u. hrsg. von Hubert Christian Ehalt für die Wiener Vorlesungen, Dialogforum der Stadt Wien]
Rezensionen
Hubert Christian Ehalt: „Ästhetische Erziehung der Bevölkerung“Ein Sammelband zeichnet erstmals die Geschichte der für das Wiener Kunst- und Kulturleben so bedeutsamen Institution der „Kleinen Galerie“ von den Anfängen bis zur Gegenwart nach. Ein Gespräch mit dem Autor, dem Politikwissenschafter Alfred Gerstl.
Als eine spezielle Einrichtung der Wiener Volksbildung gründete 1946/47 Karl Gerstmayer in der Josefstadt die „Kleine Galerie für Schule und Heim“. Seitdem hat die seit 1997 im dritten Bezirk beheimatete Galerie erfolgreich einem großen Bevölkerungskreis klassische und sukzessive auch moderne Kunst vermittelt, und zwar durch Ausstellungen in den eigenen Räumlichkeiten, in Schulen und Betrieben sowie eine eigene Monatszeitschrift und kunsthistorische Vorträge. Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler starteten ihre Karriere mit Ausstellungen in der Kleinen Galerie.
Hubert Christian Ehalt: Was war und ist das Besondere der Kleinen Galerie?
Alfred Gerstl: Nach der Katastrophe des Nationalsozialismus zeigte sich ganz besonders im Kultur- und Geistesleben, wie stark Österreich durch die Ermordung und Vertreibung von jüdischen und politisch unliebsamen Kunstschaffenden vom internationalen Kunstaustausch abgeschlossen gewesen war. Um einer möglichst breiten Bevölkerung moderne Kunst mit für die damalige Zeit höchst innovativen Methoden näher zu bringen, gründete Diplom-Ingenieur Karl Gerstmayer (1899–1983) im Jahr 1947 in der Neudeggergasse 8 im achten Wiener Gemeindebezirk die „Kleine Galerie für Schule und Heim“. In den beiden ersten Jahrzehnten wurden aus Kostengründen vorwiegend Reproduktionen (Farblithografien) ausgestellt. Gerstmayer war ein ausgebildeter Chemiker mit profundem, selbst erworbenem Wissen in der Kunst und Kunstvermittlung, Stadtrat Viktor Matejka unterstützte dieses Vorhaben aktiv.
Ehalt: Die meisten gegenwärtigen Galerien haben kommerziellen Charakter, die Kleine Galerie war und ist dem Anliegen künstlerischer Bildung verschrieben. Was waren und sind die Hauptzielsetzungen?
Gerstl: Das Besondere an der Kleinen Galerie war, Kunst vom Elitären zu befreien und dort auszustellen, wo die Menschen ansprechbar und aufnahmebereit sind: in der Schule, in der Firma oder daheim. Farblithografien wurden daher nicht nur in der Galerie ausgestellt, sondern mit Begleittexten als Wanderausstellungen für Schulen und Betriebe konzipiert. Auch Private konnten sich Lithografien ausborgen oder als Bild des Monats günstig erwerben. Zudem gab die Galerie von 1948 bis 2005 die bis zu zehnmal jährlich erscheinenden Kunsthefte mit wertvollen Informationen heraus. Die von Anfang an gegebene enge institutionelle Anbindung an die Wiener Volksbildung ermöglichte es den Direktorinnen und Direktoren, Kunst und Kunstvermittlung statt Kommerz in ihr Zentrum zu stellen.
Ehalt: Dieter Ronte hat eine Wiener Vorlesung mit folgendem Titel versehen: „Ist Kunst vermittelbar? Ist Kunstvermittlung eine Kunst?“ Kannst du mir sagen, wie die Kleine Galerie und ihre Leitungspersönlichkeiten diese Frage beantwortet haben?
Gerstl: Karl Gerstmayer und seine Nachfolger vertraten ein breites Verständnis von Kunst und Kultur, das auch Gesellschaftskritik einschloss, propagierten also einen kompletten Kulturauftrag. Andererseits waren die Instrumente der Vermittlung weitgesteckt und ihrer Zeit meist voraus. Mit Leihbildern, Wanderausstellungen und gemeinsamen Museumsbesuchen bauten die Direktoren so viel Distanz wie nur möglich zur Kunst ab, doch musste jeder Rezipient auch einen eigenständigen intellektuellen Beitrag leisten: Primär sollte Kunst von jedem Einzelnen durch eigene Anschauung für sich selbst erschlossen werden; erläuternde Vorträge und Begleittexte von Experten sollten dabei unterstützen.
Ehalt: Welchem Paradigma fühlt sich die Kleine Galerie – wenn man die gelebte Praxis der Arbeit dieser Institution bewertet – verpflichtet? Ist das Gesellschaftsanalyse? Ästhetische Erziehung? Geschmacksbildung?
Gerstl: Unter dem derzeitigen Leiter Faek Rasul konzentriert sich die Kleine Galerie stärker auf die Ausstellungstätigkeit, und zwar in den eigenen Räumlichkeiten wie in Volkshochschulen und Schulen. Dadurch trägt sie weiterhin zur ästhetischen Erziehung der breiten Bevölkerung bei und, da Arbeiten zahlreicher kritischer Künstlerinnen und Künstler präsentiert werden, zur Gesellschaftsanalyse.
Ehalt: Wie erfolgreich ist die Kleine Galerie heute? Und wie kann man den Erfolg einer derartigen Bildungsinstitution bemessen?
Gerstl: Der Erfolg einer besonderen Kunstvermittlungsinstitution wie der Kleinen Galerie lässt sich nicht rein kommerziell messen. Die Besucherzahlen sind ein wichtiger Indikator, doch genauso wesentlich ist es, die nach wie vor bestehenden Barrieren speziell für Jüngere und bildungsferne Schichten durch maßgeschneiderte Angebote, wie Aktivitäten in Schulen, Besuche bei Künstlern oder Ausstellungen im öffentlichen Raum, abzubauen. Zudem ist es Aufgabe der Kleinen Galerie, jüngeren Kunstschaffenden – im Sinne einer Startgalerie – ein breites Forum zu bieten.
(Hubert Christian Ehalt im Gespräch mit Alfred Gerstl, erschienen in der Furche #48/14 vom 27. November 2014, Feuilleton S. 22)